Die Hausverwaltung schreibt, dass mein Klient bitte nicht mehr mit baumelnden Beinen auf der Fensterbank seiner Wohnung im 14. Stock sitzen soll. Als ich ihn frage, warum er das macht, ist sein lapidarer Kommentar: „Da ist es super chillig und ich genieße die tolle Aussicht.“ (s. Foto)
Kevin (Name geändert) ist 19 und mittlerweile seit drei Jahren bei uns. Er ist nicht zu übersehen und erst recht nicht zu überhören. Deswegen hat ihm sein Vermieter auch zum Anfang des nächsten Jahres seine Wohnung gekündigt.
Ja, Kevin hat einen Behindertenausweis (80%), Pflegestufe 2 und oftmals „seine Wahrheiten“, aber er will nichts mehr als endlich ein selbstbestimmtes Leben. Ich verstehe ihn: Nach den ersten Lebensmonaten allein mit seiner Mutter kamen beide in eine Mutter-Kind-Einrichtung. Von dort ging es ohne die Mutter zur Oma, doch nach kurzer Zeit und einer Inobhutnahme wieder zur Mutter zurück. Die erste, langjährig stabile Beziehung hatte er zu einem Bezugsbetreuer in einer WG. Als er eine neue Betreuerin bekommt, hat er ihr nach einem Streit das Auto zerkratzt. Ab da wechselten sich Kinder- und Jugendpsychatrie, neue WGs und Aufenthalte im Notdienst ab. Das Jugendamt ist froh und dankbar, dass wir ihn "aushalten" und möchte dies wegen seiner Behinderung bis er Mitte zwanzig ist auch so beibehalten.
Kevin ist zwar handwerklich total begabt, aber seine berufliche Zukunft sieht düster aus, weil er sich an keine Struktur anpassen kann, auch nicht in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass er in den nächsten Jahren nachreifen wird. Damit das gelingen kann, braucht er als erstes unbedingt eine neue Wohnung, und das bis Ende Januar.
Tamina Veit, Betreuerin im Team Dresden